Narrative Strategy — Die steile Karriere der Erzählung
Seit über zehn Jahren fasziniert uns das Thema Narration. Als Management-Tool, als Strategie-Verständnis, als Mittel der Ästhetisierung. Mit WAALD entwickeln wir seit 2012 strategische Narrative für unterschiedlichste Akteure in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
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Fester Bestandteil unserer Arbeit ist das Zuhören. In weit über 1.000 Stunden Interviews (wir nennen das „Storylistening") haben wir die faszinierendsten Dinge gehört über Menschen, Branchen und Geschäftsmodelle. Neben den immer wieder spannenden und teils bewegenden Anekdoten hat sich ebenso eine Meta-Erkenntnis herausgearbeitet:
Die Nutzung von Narrativen als strategisches Tool ist in unterschiedlichen Organisationen äußerst unterschiedlich ausgeprägt und hat gleichzeitig eine erstaunliche Karriere gemacht.
Das Verständnis von Narrativen und ihr bewusster Einsatz gehen unterschiedlich weit. Wir haben vier Ausprägungen identifiziert, in denen Narrative wirksam werden. Diese Ausprägungen kann man auch als Entwicklungsstufen verstehen – je weiter entwickelt, desto lebendiger und wertvoller ist die Organisation.
Entwicklungsstufe 1: „Storytelling“
In dieser ersten Stufe hat die Organisation – zumeist das Marketing – verstanden: statt Angebote nur über Produkteigenschaften zu promoten, müssen Geschichten erzählt werden. In dieser Stufe haben Narrative einen eher schweren Stand. Sie werden reduziert auf etwas, das man für die Kommunikation, für die Werbung, als „Verpackung" braucht. Vollkommen abgekoppelt davon arbeiten Unternehmensführung und Unternehmensstrategie, aber auch Unternehmenskommunikation und Personalwesen.
Bereits in den 80er/90er Jahren, im Zenit des Werbezeitalters, hat dieses Verständnis zu einer extremen Fiktionalisierung der Marktkommunikation geführt. In der Werbung wurden (teils völlig absurde) Geschichten inszeniert – wir kennen sie alle. Man nahm an: das Produkt ist eigentlich egal, es kommt auf die emotionale Geschichte an, dann kaufen die Menschen alles. Leider hat dieses Paradigma ebenfalls zu unglaublich minderwertigen Produkten und Pseudo-Ereignissen geführt. Vor allem hat sich der Weg weiter geebnet für das Silodenken, das uns heute noch große Probleme macht. Unternehmensstrategie wurde reduziert aufs Business, davon abgekoppelt wurden im Marketing Werbewelten erschaffen, die wiederum abgekoppelt sind von Produkten. Diese Werbe-Erzählungen wurden und werden als gelungenes „Storytelling" gefeiert von Werbebranche und Fachpresse. Wir beobachten jedoch auch, dass mehr und mehr Unternehmen, die in dieser ersten Entwicklungsstufe erfolgreich sind, Narrative für die Marktkommunikation verwenden, die sich aus dem tatsächlich Gelebten speisen und so als authentisch wahrgenommen werden.
Nutzung/Wirksamkeit von Narrativen: auf Ebene der Produktkommunikation (Kampagnen)
Entwicklungsstufe 2: „Brand Narrative“
In dieser zweiten Stufe erkennt das Unternehmen, dass nicht nur in der Produktkommunikation, im Sales, Geschichten erzählt werden müssen, sondern das Produktportfolio zu etwas höherem aggregiert werden kann. Es geht um strategische Markenführung. Interessanterweise fanden und finden noch noch immer militärische Herangehensweisen Verwendung: zum Beispiel. die „Positionierung". Man versteht den Markt als Schlachtfeld. Vom Feldherrenhügel herab sucht man sich die beste Position für die eigenen „Truppen“. Man nutzt Positionierungskreuze, die zwar schon mit Semantik arbeiten, sie aber arg verkürzen oder so verdichten, dass von dem, was die Angebote an Reichhaltigkeit mitbringen, nicht viel übrig bleiben kann. Ebenfalls werden häufig mechanistische Modelle und Konzepte verwendet – eingeübt in der Betriebswirtschaftslehre, die den Naturwissenschaften nachzustreben versucht. Damit kommen jedoch eher Ordnungsprinzipien zum Einsatz, statt Mittel, die tatsächlich wertvolle Bedeutung schaffen können.
Unternehmen in der zweiten Entwicklungsstufe, also Unternehmen, die Marken als Narrative verstehen und mit strategischen Marken-Narrativen arbeiten, überwinden diesen Nachteil. Strategische Marken-Narrative sind Erzählungen, die durch (kommunikatives) Handeln aktiviert werden. Die Marke wird nicht durch Steuerräder, Positionierungen etc. definiert und kontrolliert, sondern durch Erzählungen dynamisch geführt. Das Narrativ klärt: Was will die Marke erreichen (Purpose/gesamtgesellschaftlicher Auftrag)? Was hält die Marke davon ab (Hindernisse, Widersacher)? Die ganze Erzählung spannt sich über verschiedenste Kommunikationsmaßnahmen, die die große Marken-Erzählung nachvollziehbar und erlebbar machen. Hier wird klar: es geht nicht um Storytelling innerhalb einer Werbemaßnahme, sondern um eine zunächst abstrakte Geschichte, die durch einzelne Kommunikationsmaßnahmen konkret erzählt wird.
Diese Betrachtungsweise beschränkt sich aber noch immer auf das Marketing, die Erzählung wird noch nicht relevant in anderen Wirkfeldern der Organisation
Nutzung/Wirksamkeit von Narrativen: im Marketing/Markenführung
Entwicklungsstufe 3: „Strategie als Erzählung"
In dieser Stufe verstehen die Organisationen, dass alles, was sie auf Marktseite machen, auch direkt relevant für die eigenen Mitarbeitenden ist. Oder anders gesagt: die Distanz zwischen dem, was Marketing "in der Welt da draußen" macht und dem, was beim "internen All-hands-Meeting" erzählt wird, verringert sich. Die alten Silos, in denen jeder Funktionsbereich in seiner Eigenlogik gearbeitet hatte, koppeln sich wieder. Unternehmensstrategie wird in Erzählungen übersetzt, die anschlussfähig sind, da sie von Menschen verstanden werden. Mehr noch: Erzählungen schaffen Andockstellen für Partizipation, die viel wertvoller sind, als ungerichtete Teilhabe. Die Organisationen der dritten Entwicklungsstufe haben verstanden: Unternehmensstrategie und Geschäftsmodell, Marktkommunikation und interne Kommunikation sind weitgehend kongruent zu führen. Weil eine Organisation aus unzähligen Erzählungen besteht, braucht es strategische Narrative für die Führung der Organisation. Wollen sich Unternehmen wandeln, helfen Transformationsnarrative, wertvollen Wandel möglich zu machen. Denn Organisationen in dieser Entwicklungsstufe ist klar, dass es auch interne Veränderung braucht, um den gesamtgesellschaftlichen Wandel zu treiben.
Nutzung/Wirksamkeit von Narrativen: Personalbereich, Organisationsentwicklung, Unternehmenskommunikation, Marketing
Entwicklungsstufe 4: „Erzählung als Strategie"
Diese letzte Stufe wird von erfolgreichen Organisationen zum Teil bewusst und zum Teil unbewusst erreicht: hier versteht die Organisation: wenn die gesamte Unternehmung, das gesamte Geschäftsmodell nach narrativen Prinzipien geführt wird, wird die Organisation zum Erfolg geführt. Hier wird aus dem „Competitive Advantage“ der „Narrative Advantage“. Die Unternehmensstrategie ist nicht nur eine Excel-Tabelle, sondern strategische Narrative werden die Grundlage der Geschäftsmodelle. Jedes Geschäftsmodell braucht einen Narrative Check auf Erzählbarkeit. Mehr noch: Märkte und Produkte von Morgen werden nicht nur rechnerisch und buchhalterisch eruiert, sondern so entwickelt, dass sie eine Geschichte erzeugen. Ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag (Purpose-Narrativ) wird in der Unternehmung gelebt und alles Handeln dient dem Erfüllen dieses Auftrags. Dabei versteht sich die Organisation wie ein Protagonist in einer Geschichte. Das unternehmerische Handeln führt zu neuen Episoden, Wendungen und spannenden Momenten, die andockfähig sind an Menschen und Medien.
Interne Silos innerhalb der Organisation werden vollständig zusammengeführt. Die Mitarbeitenden verstehen am besten, warum sie Teil der Unternehmung sind, und dass sie an einer größeren Sache ihren Anteil leisten. Diese Organisationen fahren ein vollständig anderes Risiko-Management: Das Vermeiden von Risiken wird zum Risiko.
In dieser Stufe wird Erzählung zur Strategie. Der Unterschied zur Stufe 3: Strategie wird nicht verstanden als etwas, das nun in eine Geschichte übersetzt werden muss, sondern die Organisation wird als Protagonist einer Geschichte verstanden. Die Welt ist Bühne. Menschen und Medien sind Zuschauer und Mitspieler.
Nutzung/Wirksamkeit von Narrativen: Vorstand, F&E und allen anderen Funktionsbereichen der Organisation
Wie narrativ ist Deine Organisation?